In einem aktuellen Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass einer im Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) grundsätzlich der gleiche Beweiswert zukommt wie einer, die in Deutschland ausgestellt wurde. Das Gericht betonte jedoch auch, dass die Gesamtschau aller Umstände den Beweiswert erschüttern kann.

Krankschreibung aus dem Ausland: Ein Fall mit verschiedenen Aspekten

Im Mittelpunkt des Falls stand ein langjähriger Lagerarbeiter. Der Mann hatte mehrfach in zeitlichem Zusammenhang mit seinem Urlaub eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingereicht, so auch 2022.

Während seines Urlaubs vom 22. August bis zum 9. September legte der Mann am 7. September eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, die ihm ein Arzt in Tunesien ausgestellt hatte. Laut der Bescheinigung litt der Mann an schweren Ischialbeschwerden und sei bis zum 30. September arbeitsunfähig. Zudem wurde ihm strikte häusliche Ruhe verordnet und er wurde als nicht reisefähig eingestuft. Trotz dieser ärztlichen Anweisung kaufte der Kläger bereits am Folgetag ein Ticket für die Fähre und trat am 29. September mit dem Auto die Rückreise nach Deutschland an.

Der Arbeitgeber akzeptierte die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht und verweigerte die Lohnfortzahlung für den gesamten Monat September.

BAG hebt LAG-Entscheidung auf

Das Landesarbeitsgericht (LAG) München hatte dem Mann zunächst die Lohnfortzahlung zugesprochen (Urt. v. 16.05.2024, Az. 9 Sa 538/23). Es würdigte die einzelnen Umstände des Falls, jedoch ohne eine Gesamtschau vorzunehmen, urteilte das BAG (Urt. v. 15.01.2025, Az. 5 AZR 284/24).

Gesamtschau der Umstände entscheidend

Das BAG stellte klar, dass einer AU aus dem Nicht-EU-Ausland der gleiche Beweiswert wie einer inländischen AU zukommt – vorausgesetzt, der ausstellende Arzt differenziert zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit.

Im vorliegenden Fall gab es jedoch einige Punkte, die Zweifel an der Beweiskraft der Bescheinigung hervorriefen.

Die attestierte Arbeitsunfähigkeit erstreckte sich über 24 Tage, ohne dass eine erneute Vorstellung beim Arzt anzuordnen war. Zudem kaufte der Kläger bereits einen Tag nach Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein Fährticket und trat die beschwerliche Rückreise mit dem Auto an, obwohl ihm Ruhe verordnet worden war. Es handelte sich nicht um den ersten derartigen Vorfall im Zusammenhang mit dem Urlaub.

Das BAG sah in der Gesamtschau aller Umstände den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit als erschüttert an.

Wenn Zweifel an der Krankschreibung bestehen: Wer muss was beweisen?

Wenn Zweifel an der Richtigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) aufkommen, kehrt sich die Beweislast um. Das bedeutet: Der Arbeitnehmer muss dann selbst beweisen, dass er wirklich krank und deshalb nicht arbeitsfähig war. Nur wenn er das nachweisen kann, hat er Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG).

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