Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit seinem Urteil vom 19. Januar 2022 (Az.: 5 AZR 346/21) wesentliche Leitlinien für Arbeitnehmer festgelegt, die sich gegen eine Kündigung wehren. Von besonderer Relevanz ist dieses Urteil für Arbeitnehmer, denen eine sogenannte Prozessbeschäftigung angeboten wird. Hierbei handelt es sich um eine vorübergehende Tätigkeit, die während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens ausgeübt wird. Doch was genau bedeutet Annahmeverzug, und worauf sollten Arbeitnehmer achten?
Was ist Annahmeverzug?
Wenn ein Arbeitgeber eine Kündigung ausspricht, diese aber später als unwirksam eingestuft wird, befindet er sich in Annahmeverzug. In einem solchen Fall ist der Arbeitnehmer dazu berechtigt, sein Gehalt weiter zu beziehen, auch wenn er nicht arbeitet. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Arbeitnehmer arbeitswillig und arbeitsfähig ist. Ein fehlender Leistungswille kann den Anspruch auf Gehalt trotz Annahmeverzug ausschließen. Eine besondere Problematik entsteht, wenn der Arbeitgeber eine Prozessbeschäftigung anbietet, die von der ursprünglichen vertraglichen Tätigkeit abweicht. Eine unüberlegte Ablehnung kann fatale finanzielle Folgen haben.
Hintergründe und Streitpunkte des Falls
Die Klägerin war als Marketing- und Projektmanagerin bei einem Cateringunternehmen angestellt. Nach mehreren betriebsbedingten Kündigungen erhob sie Klage und forderte weiterhin ihr Gehalt. Während des laufenden Verfahrens unterbreitete der Arbeitgeber der Klägerin zwei alternative Beschäftigungsmöglichkeiten: eine Tätigkeit als Servicekraft sowie später eine Stelle als Frühstückskraft oder Zimmermädchen. Die Klägerin lehnte beide Angebote ab. Ihre Begründung: Die Klägerin begründete dies damit, dass die neuen Aufgaben nicht zu ihrer Qualifikation gepasst hätten und schlechter bezahlt gewesen wären. Der Arbeitgeber argumentierte, dass die Klägerin bereit war, eine Änderungskündigung für eine ähnliche Position zu akzeptieren, und dass ihre Ablehnung der Prozessbeschäftigung widersprüchlich sei.
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Arbeitgeber sich bis zum 10. Dezember 2018 in Annahmeverzug befand und die Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt ihr Gehalt zu erhalten hatte. Ab dem 11. Dezember 2018 entfiel dieser Anspruch jedoch, da das Gericht der Auffassung war, dass die Klägerin nicht mehr arbeitswillig war. Die Klägerin hatte ihre Arbeitskraft angeboten, später aber ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht, das das Gericht für unwirksam hielt. Infolgedessen wurde ihr Leistungswille infrage gestellt.
Was bedeutet das für Arbeitnehmer?
Das Urteil verdeutlicht, dass Arbeitnehmer bei der Ablehnung einer Prozessbeschäftigung besondere Sorgfalt walten lassen sollten. Ein vorübergehendes Arbeitsangebot sollte stets sorgfältig geprüft werden, da eine unbedachte Ablehnung den Gehaltsanspruch gefährden kann. Es empfiehlt sich für Arbeitnehmer, ihre Arbeitsbereitschaft unmissverständlich zu bekunden, entweder durch die Annahme einer angemessenen Beschäftigung oder durch eine eindeutige schriftliche Mitteilung an den Arbeitgeber. Eine Prozessbeschäftigung muss nicht exakt der ursprünglichen Stelle entsprechen, kann aber dennoch als zumutbar betrachtet werden. Arbeitnehmer sollten sich dieser Unterschiede bewusst sein, um keine finanziellen Nachteile zu erleiden. Bei Unsicherheiten bezüglich der Zumutbarkeit einer angebotenen Beschäftigung sollte zwingend ein Arbeitsrechtsexperte konsultiert werden.
Wichtige Erkenntnisse für die Praxis
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) verdeutlicht, dass Arbeitnehmer, die eine Kündigung anfechten, sorgfältig abwägen müssen, ob sie eine alternative Beschäftigung ablehnen. Entscheidend für den Anspruch auf Gehalt trotz Annahmeverzug ist ein durchgehender Leistungswille. Wer hier Fehler macht, riskiert finanzielle Nachteile. Es empfiehlt sich daher, den Leistungswillen sorgfältig zu prüfen, diesen dokumentarisch zu festhalten und im Zweifel rechtlichen Rat einzuholen.
Foto(s): @pixbay