Ein aktueller Fall sorgt für Diskussion im Arbeitsrecht: Darf ein Unternehmen eine Bewerbung allein aufgrund des Alters ablehnen, auch wenn es an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) gebunden ist? Diese Frage wurde vor Gericht verhandelt, nachdem ein älterer Bewerber eine Absage erhielt, ohne jemals zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein.

Die Bewerbung eines Rentners – und die Absage ohne Gespräch

Ein Unternehmen schrieb eine Stelle als „Sachbearbeiterin für die Verwaltung“ aus. Für die Position wurden eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung, mehrjährige Berufserfahrung sowie soziale Kompetenz und eine eigenständige Arbeitsweise vorausgesetzt. Gemäß der Ausschreibung werden schwerbehinderte Bewerber*innen bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt.

Unter den 24 Bewerbungen befand sich auch die eines über 65-jährigen Mannes. Er verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Verwaltung und erfüllt alle fachlichen Anforderungen. Nichtsdestotrotz wurde er nicht zu einem Gespräch eingeladen. Stattdessen wurde eine 1976 geborene Bewerberin ausgewählt.

Klage wegen Alters- und Behindertendiskriminierung

Der abgelehnte Bewerber sah sich benachteiligt und klagte auf Entschädigung. Er begründet dies damit, dass er aufgrund seiner Schwerbehinderung nicht zum Gespräch eingeladen worden sei, was eine Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) darstelle. Zudem sei die Absage aufgrund seines Alters erfolgt, was einen weiteren Diskriminierungstatbestand darstelle.

Was sagt das Gesetz?

Das zuständige Gericht verwies in seiner Entscheidung auf § 10 AGG. In Ausnahmefällen ist eine unterschiedliche Behandlung aufgrund des Alters zulässig, sofern sie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist und die Mittel zur Zielerreichung angemessen und erforderlich sind. Legitime Ziele können sozialpolitischer Natur sein, beispielsweise die Förderung junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt.

Generationengerechtigkeit als Argument

Das beklagte Unternehmen begründete seine Entscheidung mit einer unausgewogenen Altersstruktur: Von 47 Mitarbeitenden waren lediglich fünf unter 40 Jahre alt. Die Entscheidung, eine jüngere Person mit der Stelle zu betrauen, diente dem Ziel, eine ausgewogene Altersdurchmischung innerhalb des Teams zu fördern. Darüber hinaus verwies der Arbeitgeber auf die tarifliche Regelung im TVöD, nach der Arbeitsverhältnisse mit Erreichen der Regelaltersgrenze automatisch enden. Eine Weiterbeschäftigung darüber hinaus ist nur in Ausnahmefällen möglich, beispielsweise wenn keine qualifizierten jüngeren Bewerber*innen zur Verfügung stehen.

Keine Diskriminierung wegen Schwerbehinderung

Auch der zweite Vorwurf des Klägers, er sei wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden, überzeugte das Gericht nicht. Selbst ohne Berücksichtigung der Behinderung wäre er aufgrund seines Alters und der gegebenen Auswahl qualifizierterer jüngerer Bewerber nicht in Betracht gekommen. Eine Einladung zum Vorstellungsgespräch war demnach nicht erforderlich, sondern lediglich eine Formalität.

Revision beim Bundesarbeitsgericht zugelassen

In dieser Angelegenheit wurde noch kein abschließendes Urteil gefällt. Die Richter haben die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassen. Denn höchstrichterlich ist bislang nicht abschließend geklärt, ob ein Arbeitgeber, der an den TVöD gebunden ist, ältere Bewerber grundsätzlich ablehnen darf, wenn ausreichend qualifizierte jüngere Kandidaten zur Verfügung stehen.

Rechtlicher Graubereich bleibt

Der Fall veranschaulicht eindrucksvoll die Komplexität der Wechselwirkung zwischen Altersdiskriminierung, Tarifrecht und Gleichbehandlung. Die Gerichte haben dem Arbeitgeber eine sachlich begründete Entscheidung zugestanden, jedoch bleibt die Grundsatzfrage bestehen. Inwiefern ist es einem Unternehmen gestattet, im Sinne der „Generationengerechtigkeit“ zu handeln, ohne dabei gegen das Diskriminierungsverbot zu verstoßen?

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